FC Winterthur vs. Grasshopper Club Zürich

Wer hätte das gedacht: Der FCW ist momentan nach Servette der erfolgreichste Super-Ligist im laufenden Jahr. Er hat 2024 erst einmal verloren und steht nach dem Sieg gegen Zürich im Cup-Halbfinal. Auch die Kantonsderby-Bilanz ist topp: Die Rahmen-Elf hat gegen den FCZ in drei Spielen vier Punkte geholt und gegen GC gar beide Spiele gewonnen. Mit einem dritten Sieg gegen GC wäre der FCW inoffizieller Zürcher Meister – und die Grasshoppers endgültig im Elend.

Nach der intensiven englischen Woche mit Siegen gegen den FCZ und Yverdon und einem Unentschieden in Lausanne wartet am Samstag bereits das nächste Highlight auf der Schützenwiese: Der FCW empfängt die Grasshoppers zum dritten Kantonsderby in dieser Saison.

Das Klischee sieht GC in der Favoritenrolle. Winterthur kann dem Palmarès des Rekordmeisters nichts entgegenhalten. Vor dem Saisonstart sahen die Fachleute GC anhand der Konstellation vor dem FCW. Auch die ewige Super-League-Bilanz spricht eine klare Sprache: GC konnte 23 von 38 Partien für sich entscheiden, nur fünf gingen verloren.

Doch das war gestern. In der laufenden Saison hat GC sportlich Mühe und auch das Hin und Her um die Besitzverhältnisse war sicher nicht förderlich. Das Team von Cheftrainer Bruno Berner steht zurzeit mit 29 Punkten und 32:33 Toren an zehnter Stelle – acht Zähler hinter dem FCW und punktgleich mit dem Zweitletzten Lausanne-Sport. Vor allem das Toreschiessen fällt den Hoppers momentan schwer. In fünf der acht Spiele im 2024 gelang ihnen kein Treffer, nur gegen Basel und Zürich mehr als einer (zweimal 2:1).

Anders der FCW: Seine Bilanz nach 26 Runden lässt sich mehr als sehen: Nach dem 0:0 im Startspiel gegen Luzern hat die Rahmen-Elf immer mindestens ein Tor erzielt, im Schnitt sind es 1,8 Treffer pro Spiel. Im Jahr 2024 hat der FCW nur eines von neun Spielen verloren (zuhause nach zwei roten Karten 1:3 gegen Basel). Nur das zweitplatzierte Servette ist besser. Das hängt neben der offensiven Qualität auch mit dem deutlich verbesserten Defensivverhalten zusammen: Nur gegen Servette (3:3) und Basel (1:3) hat der FCW mehr als ein Tor kassiert.

Als Belohnung kämpft der FCW momentan um den Einzug in die Finalrunde, in der die ersten sechs Teams im April/Mai in einem letzten Durchgang um den Meistertitel und die internationalen Plätze spielt. Und als Zugabe hat er im Cup erstmals gegen den FCZ gewonnen. Die Bilanz eines Leaders: Hand aufs Herz, wer hätte das vor dem Saisonstart gedacht?

Am Samstag geht es für den FCW um zwei Dinge: Er will gegen GC weitere wichtige Punkte im Strichkampf holen, mit einem Sieg aber auch weiterhin den Barrageplatz auf Distanz halten. Ein Sieg im sechsten Kantonsderby hätte nebenbei auch symbolischen Wert: Der FCW wäre inoffizieller Zürcher Meister. Vorwärts Winterthur!

Die YB-Leihgabe Marvin Keller erhält beim FCW die gesuchte Spielpraxis. Der 21-Jährige überzeugt mit seiner ruhigen Art und geht auch mit den hohen Erwartungen locker um.

Als Marvin Kellers Vater seinem 6-jährigen Sohn ein Paar Torhüter-Handschuhe schenkte, konnte er nicht ahnen, was er damit auslösen würde. Noch am gleichen Abend hechtete Klein-Marvin im Bett nach Bällen, am folgenden Tag tat er dasselbe im Garten – und fortan wollte er nie mehr etwas anderes machen. Nur beim „Tschutten“ mit Kollegen war er lieber Stürmer, die zertrampelten Flächen vor den Toren der Schulhausplätze waren zu hart, um sich dort auf den Boden zu werfen.

Entsprechend froh war Keller, dass der FCW im Januar der hiesigen Kälte Richtung Trainingslager in der Türkei entfloh und die Trainings aktuell erst auf den Nachmittag angesetzt sind. „Die Landungen auf den am Morgen noch gefrorenen Böden sind hart. Ich bin noch jung und habe keine Angst vor Verletzungen, aber angenehm ist es nicht“, sagt der 20-Jährige.

Schnellstart in Bern

Bei GC alle Nachwuchsstufen durchlaufen, zwei Jahre Stammgoalie beim FC Wil – dann rief im Februar des letzten Jahres Meister YB, als sich David von Ballmoos verletzte. Als auch Anthony Racioppi ausfiel, kam Keller schneller als gedacht zu den ersten Einsätzen in der Super League – und nach nur drei Ernstkämpfen gar zum Cupfinal, der gegen Lugano 3:2 gewonnen wurde. Als von Ballmoos schneller als geplant das Comeback schaffte, folgte der nächste Schritt.

„Es war YB und mir klar, dass mir die Rolle als Nummer 3 nicht die nötige Spielpraxis bietet“, so Keller. Dass er nach seinem Wechsel nach Winterthur im September sofort spielen würde, war für ihn aber eher eine Überraschung. Sicher auch für den bisherigen Stammgoalie Markus Kuster. „Ich verstehe, dass für ihn zu Beginn die Situation schwierig war. Wir haben nun aber ein gutes und professionelles Verhältnis – so muss es im kleinen Goalieteam auch sein, wenn man sich gegenseitig pushen will“, sagt der Schlussmann, der Roman Bürki als sein Jugendidol bezeichnet. Heute sieht er Ederson (Man City) als Vorbild an.

Teamtaufe mit Verspätung
Geboren wurde Marvin Keller in London, als seine Eltern aus beruflichen Gründen für einige Jahre in England stationiert waren. Seit dem Wechsel zum FCW wohnt er wieder im Elternhaus in Berikon im Kanton Aargau. Der Weg ins Training dauert knapp eine halbe Stunde. In der trainingsfreien Zeit kümmert er sich um die aktive Regeneration, verbringt Zeit mit der Familie und Freunden, liest Bücher. „Hauptsächlich Biografien von Sportlern, aber auch die Themen Psychologie und Ernährung interessieren mich – grundsätzlich alles, was mir in der Karriere weiterhelfen kann“, sagt er. Alles klingt nach einem langfristigen Plan. Mit dem Druck, dass den U21-Internationalen viele als Schweizer Torhüter Nummer 1 der Zukunft sehen, geht er aber ohne Sorgen um. „Mich kümmert nur das Hier und Jetzt, das nächste Spiel. Wer konzentriert arbeitet, erreicht auch die entsprechenden Resultate.“

Kurzfristig hofft er natürlich auf gute Resultate mit dem FCW. Dass er bis zum letzten Spiel des Jahres 2023 warten musste, um beim 1:0-Sieg gegen Lausanne ohne Gegentor zu bleiben, wurmt ihn – wie jeder Goalie gewinnt er lieber 1:0 als 3:2. Grossen Änderungsbedarf sieht er trotzdem nicht. „Wir spielen attraktiven Fussball und müssen unserem Spielstil vertrauen. Wenn wir dazu noch etwas abgeklärter verteidigen, bin ich für den weiteren Verlauf der Saison zuversichtlich“, sagt Keller beim Gespräch Ende Januar – froh darüber, in der Türkei eine komplette Vorbereitungsphase mit dem Team mitgemacht zu haben. Die Böden in der Schweiz werden in den kommenden Wochen zwar noch nicht so schön sein, aber ein paar Details konnten noch angeschaut werden. Das Das Defensivspiel des FCW hat sich inzwischen klar verbessert. Und auch die gesangliche Teamtaufe brachte Keller mit etwas Verspätung noch über die Bühne.